Japanische Rinder in den Schweizer Voralpen
Mühlemann Wagyubeef
#fleisch #schweiz
«Wo finde ich den Hof der Mühlemanns», frage ich einen Mann, der seinen Garten pflegt. «Welche Mühlemanns suchen Sie denn?», tönt’s zurück. «Die mit den Wagyu-Rindern», antworte ich. «Ach so diese», meint der Hobbygärtner und erklärt mir den Weg. In der Region kennt wohl jeder Thomas Mühlemann’s Betrieb. Schliesslich gehört er zu einer gerade mal Handvoll Schweizer Bauern, die Wagyu-Rinder züchten und vermarkten. Das Fleisch dieser Tiere, die ursprünglich aus der japanischen Region Kobe stammen, gehört weltweit zu den exklusivsten Nahrungsmitteln. Das Besondere daran: die Muskeln sind von kleinen Fettinseln durchzogen.
Diese Marmorisierung gibt dem Gewebe nicht nur das typische Aussehen. Die eingeschlossenen Fettzellen schmelzen beim Kochen und geben dem Fleisch einen unverwechselbaren, leicht nussigen Geschmack, für den Gastronomen und Fleischliebhaber gerne mal tiefer in die Taschen greifen.
Selber hatten wir bislang noch keine Gelegenheit, dieses viel gepriesene Fleisch zu probieren. Diese Tatsache und die Chance, einen Landwirt kennenzulernen, der den Mut und vielleicht auch die nötige Portion Verrücktheit an den Tag legt, einen traditionellen Landwirtschaftsbetrieb auf ein Produkt, welches nur in einem engen, exklusiven Marktsegment Platz findet, umzustellen. Unsere Recherchen führten uns schlussendlich in die malerische Region oberhalb der kleinen Stadt Thun südlich der Hauptstadt Bern, zum Hof der Familie Mühlemann.
Den Stier hinter den Ohren kraulen
Kaum angekommen, führt uns Thomas Mühlemann ins Gehege der Bullen und Ochsen. Was bei anderen Rinderrassen eher mit Vorsicht zu geniessen ist, läuft hier absolut stressfrei ab. Die Tiere beäugen uns im ersten Moment skeptisch, kommen dann jedoch rasch näher, um sich Streicheleinheiten abzuholen. «Wagyu-Rinder sind äusserst sanftmütig», erklärt Mühlemann. Und Divas: «Eine einzelne Fliege bringt die Tiere schon fast zum ausflippen.»
So stehen wir also nach kurzer Zeit mitten unter acht männlichen Tieren – neugierig beäugt von den Mutterkühen auf der Weide gegenüber. «Zur Zeit haben wir neben den acht männlichen noch zehn weibliche Tiere und zwölf Jungtiere», fasst der Landwirt seine Wagyu-Herde zusammen. Doch damit nicht genug. Weiter oben weiden fünfzehn herkömmliche Milchkühe. «Wie fast alle Bauern hier in der Umgebung produzieren wir seit jeher Milch», erzählt Thomas Mühlemann. Bis vor rund zehn Jahren umsorgte die Familie rund 25 Milchkühe – für Schweizer Verhältnisse ein mittlerer Betrieb.
Der Embryo aus dem Mist
Wie überall in Europa rentiert die Milchwirtschaft jedoch kaum mehr. Also wagten die Mühlemanns Ende 2007 den Schritt und reduzierten schrittweise ihre Milchkühe, um japanischen Rindern Platz zu machen. Doch der Start verlief harzig. «Ich kaufte auf gut Glück sechs Wagyu-Embryonen in Holland», erinnert sich Mühlemann. Vier seiner Kühe sollten als Leihmütter dienen. Doch der erste Versuch scheiterte komplett. Keine der vier Kühe nahm den Embryo auf. Also wurde der nächste Versuch mit den zwei verbleibenden Embryonen gestartet. «Als der Tierarzt das Röhrchen mit einem der Embryonen aus dem Stickstoffcontainer zog, zerbarst dieses und fiel auf den schmutzigen Stallboden», erzählt der Wagyu-Besitzer. Schnell wurde der Embryo gereinigt und in die Gebärmutter der bereitstehenden Mutterkuh verfrachtet. Und was kaum mehr möglich schien, wurde Realität: Aus diesem Embryo entwickelte sich der erste Bulle der Mühlemanns. Doch die Familie hatte noch mehr Glück. «Aus dem letzten Embryo, den wir noch hatten, gab es ein weibliches Tier», berichtet der Landwirt. Damit war die Basis für eine eigene Herde gelegt.
Gutes Fressen statt Massage
Die kleinen Fetteinlagerungen im Muskelgewebe sollen für den unvergleichlichen Geschmack des Wagyu-Fleisches verantwortlich sein. Es kursiert jedoch auch das Gerücht, dass eine tägliche Massage der Tiere mit Bier und anderen Essenzen, dem Fleisch den Geschmack zusätzlich verbessert. Massieren die Mühlemanns also täglich ihre japanischen Wiederkäuer? «Sicher nicht. Damit liessen sich im besten Fall Touristen beeindrucken», winkt Thomas Mühlemann lachend ab. Für den Geschmack sei, neben der Genetik, viel entscheidender, was die Tiere zum Fressen kriegen. Die einen Landwirte geben ihnen Biertreber zum fressen, andere schwören auf Eigenmischungen, weiss Mühlemann. Und er? Worin liegt sein Geheimnis? «Unsere Rinder bekommen Gras, Heu und Mineralien». Tiefer lässt sich Thomas Mühlemann nicht in die Karten blicken – schliesslich liest die Konkurrenz mit.
Respektvoller Umgang bis zum Schluss
Auf zwei weitere Aspekte legt der Landwirt grossen Wert: «Tiergerechte Freilaufhaltung und schonungsvolle Schlachtung». Erstere ist heute glücklicherweise in der Schweiz ein Muss. Und für die Schlachtung fährt Mühlemann nur wenige Kilometer weit zu einem kleinen Schlachtbetrieb. Bei diesem besteht er darauf, dass seine Tiere gleich nach dem Abladen getötet werden und nicht noch lange im Schlachthof herumstehen müssen. «Wenn sie das Blut ihrer Artgenossen riechen, werden sie sichtlich nervös und gestresst. Das will ich nicht.», sagt der Wagyu-Besitzer dezidiert.
Nach der Schlachtung hängen die Körperhälften während 28 Tagen ab, bevor sie assortiert verpackt und vakuumiert werden. Bereits im Vorfeld einer Schlachtung informieren die Mühlemanns ihre Privat- und Gastrokunden. So kann der grösste Teil des Fleisches gekühlt an die Fleisch-Aficionados versendet werden. Bemerkenswert: «Ausser dem Fell wird bei uns alles verwertet». Die Knochen holt ein Saucenproduzent ab und das Fett, im Schnitt rund 15 Kilogramm pro Tier, wird eingekocht und in Büchsen abgefüllt – 1a Schmalz zum Kochen oder als Brotaufstrich.
Der Selbsttest überzeugt
Filet und Steaks verkaufen sich erwartungsgemäss am besten. Doch auch das Hackfleisch inspiriert Profis und Laien zur Herstellung von nicht gerade alltäglichen Wagyu-Burgern, während die Brat-, Trockenwürste und das Trockenfleisch auch mal unter der Woche auf den Tisch kommen – So wie an diesem Abend. Nach einer ausführlichen Besichtigung des Hofes werden wir noch zu einer kleinen Verkostung in das historische Bauernhaus eingeladen. Thomas Mühlemann hat für uns eine Platte mit Trockenfleisch und -wurst vom Wagyurind und lokalem Käse vorbereitet. Was wir im Vorfeld schon so häufig gehört haben, überzeugt auch uns: das Fleisch schmeckt einzigartig. Und natürlich lassen wir es uns auch nicht nehmen, zwei Entrecôtes direkt ab Hof zu kaufen. Diese landen am nächsten Tag auf dem Grill – wie vom Züchter geraten, nur mit etwas Pfeffer und Knoblauch abgeschmeckt. Das Resultat lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Wow!