Local Food Stories

Fleisch, Fisch & Co.

Caroles Schneckenfarm im Elsass

Les Escargots de Caro
#frankreich #schnecken

Die Protagonisten dieser Geschichte sind schnell unterwegs. Zumindest relativ gesehen. «Fünf bis sechs Meter pro Stunde legen sie zurück», erzählt Carole Konradt während sie uns ihre Schneckenzucht zeigt. Auf einer rund 2 600 Quadratmeter grossen Wiese hinter der «Ferme de la Gaensmatt» in der kleinen Ortschaft Ostheim hegt und pflegt Carole rund 700’000 Gros-gris-Schnecken, die domestizierte Variante der wildlebenden Weinbergschnecke. Das Gehege sieht auf den ersten Blick eher aus, wie eine Bienenweide. Verschieden hohe, blühende Pflanzen bewegen sich im Wind, eine Vielzahl von Insekten laben sich an deren Nektar.

Doch die hölzerne Umrahmung und das darüber gespannte Netz machen deutlich, dass sich darunter etwas befinden muss, das schützenswert ist: «Schnecken haben viele Fressfeinde.», weiss Carole aus Erfahrung. Trotz den Schutzmassnahmen verliert die Unternehmerin während einer Saison rund ein Drittel ihrer Schnecken an wildlebende Tiere, die jede noch so kleine Öffnung nutzen, um sich das proteinreiche Futter zu holen.

Temperaturempfindliche Tiere

Die Saison der Schneckenzucht beginnt meistens im Mai und endet im September. Denn die Tiere sind nicht nur kälteempfindlich. Auch direktes Sonnenlicht mögen sie nicht. Als Carole einige der wenige Zentimeter grossen Tierchen auf ihre Hand legt, versuchen diese möglichst rasch auf die Unterseite der Hand zu gelangen, um der Sonne zu entfliehen. Dabei merkt man erst, wie rasch sich die Tierchen bewegen können. «Sie wissen instinktiv, dass die Sonne eine tödliche Gefahr darstellt, denn die Schnecken haben keine Möglichkeit, ihre Körpertemperatur zu regulieren. Scheint die Sonne zu lange auf ein Tier, kommt es im Häuschen zu einem Hitzestau und die Tiere verenden», weiss die studierte Ingenieurin.

Perfekte Schneckenhaltung

Im Frühjahr holt sich Carole Konradt die wenige Millimeter grossen Babyschnecken, bei befreundeten Produzenten in der Umgebung, um sie nach den letzten Bodenfrösten im Gehege anzusiedeln. Hier steht den Tieren eine Konstruktion von horizontal und vertikal zusammengestellten Holzbrettern als schatten- und schutzspendendes Zuhause zur Verfügung. «Auf der Unterseite der Bretter verbringen sie den Tag, abends befeuchten wir das Gehege mit einer Sprinkleranlage und die Schnecken schwärmen nachts aus, um Pflanzen zu fressen», erklärt Carole. Die meist grossblättrigen Pflanzen dienen in der ersten Phase der Aufzucht als einzige Nahrungsquelle. Später bekommen die Schnecken dann zusätzlich eine Art Kraftfutter, bestehend aus Mais, Rüben, Weizen und Kalzium, letzteres damit die Schneckenhäuschen genügend aushärten.

Schlafend in den Tod

Im Herbst bereiten sich Schnecken auf den Winterschlaf vor, während dem sie – ähnlich wie Bären – ihren Stoffwechsel auf ein Minimum runterfahren. Diese Phase nutzt Carole für das letzte Kapitel im Leben ihrer Weichtiere. Sie sammelt die Tiere ein, legt sie in Netztaschen und lässt die Tiere eine Woche fasten. Während dieser Zeit entleeren sie ihren Darminhalt. Danach werden die Schnecken runtergekühlt und beginnen so mit ihrer Winterruhe – bis sie in der Produktion an der Reihe sind. «Wir töten die Schnecken, in dem wir sie ins kochende Wasser geben», erzählt Carole. Vom Tiefschlaf in den Tod sozusagen. Danach werden die Tiere von Hand aus den Häuschen genommen und der hintere Teil mit den Innereien abgetrennt. «Was wir essen, ist der Teil der Schnecken, den wir sehen, wenn sie sich fortbewegt. Dieser Teil besteht aus einem Muskel», präzisiert die Produzentin. Reines Protein höchster Qualität.

Geschmacksneutral für jede Küche geeignet

Ist es wahr, dass Schnecken eigentlich gar keinen Geschmack haben und nur die Sauce das kulinarische Erlebnis ausmacht? «Ja, Schneckenfleisch ist geschmacklich neutral und lässt sich deshalb mit einer Vielzahl von Saucen verfeinern», bestätigt Carole. Der Grossteil ihrer Produktion verkauft sie im eigenen Hofladen oder an Märkten in der Umgebung an Privatpersonen. Zudem beliefert Carole Restaurants in der Nähe. Und das mit Erfolg: Als Carole Konradt im Jahr 2018 die Idee hatte, den von ihrem Mann geführten Bauernhof mit Reben und Getreideanbau, um eine Schneckenproduktion zu erweitern, begann sie mit 120 000 Tieren. Fünf Jahre später hat sich der Betrieb mehr als verfünffacht. Das nächste Ziel der Unternehmerin ist, ihre eigenen Tiere fortzupflanzen, um im Frühjahr nicht mehr vollumfänglich auf den externen Einkauf der Babyschnecken angewiesen zu sein. Im Jahr 2019 beschloss das Ehepaar zudem, einen Hühnerstall mit Bio-Hühnern für die Eierproduktion in Betrieb zu nehmen.

Das ganze Wissen für diese Erfolgsgeschichte musste sich Carole Konradt selbst aneignen. Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich der Schneckenzucht sind dünn gesät. Bislang bieten gerade mal zwei Schulen in Frankreich entsprechende Kurse an. Auch wenn Schnecken ein fester Bestandteil der elsässischen Küche sind, haben sich wenige für eine Produktion im grossen Stil entschieden. Und wenn es den Tierchen mal schlecht geht, ist Carole auf den Rat ihrer Kollegen angewiesen. Denn: «Einen Tierarzt für Schnecken gibt es nicht.»